Allgemeine Themen

Fragen über Fragen …

Wie geht es Dir?

Zwiespältig. In einer immer bedrohteren Welt, die von den Egoisten vor allem auch meiner Generation weiterhin zielstrebig in den Untergang gesteuert wird, geht es mir ganz persönlich so gut wie noch nie. Die Mühle der Berufstätigkeit ist beendet, jetzt kann ich endlich tun, was ich will.

Fast dreißig Jahre lang hast Du bei einer Heimwerkerzeitschrift gearbeitet. Was hat Dich so lange in dieser Redaktion gehalten?

Ich bin eben durch und durch ein*e Tüftler*in und Bastler*in. Ein „notorischer Motoriker“, wie es mein Ex-Chef ganz passend über unsere fast ausschließlich männliche Leserschaft sagt. Als die Stelle eines Redakteurs für Technik und Werkzeuge bei „selbst ist der Mann“ 1997 ausgeschrieben war, wusste ich sofort, das sie für mich genau passt – und so war es auch. Seit etwa 2000 haben wir in jeder Ausgabe einen Test von Werkzeugen und Gartengeräten – dieses Ausprobieren und Vergleichen liebte ich besonders. Begeistert habe ich auch viele Folgen einer Reparaturserie produzieren können – es muss nicht immer alles weggeworfen werden, nur weil sich im Inneren eines technischen Geräts Schmutz angesammelt hat oder ein kleines Teil defekt ist. Fast immer sind technische Geräte mit einfachen Mitteln zu retten – das ist der Kerngedanke auch der „Repair-Cafés“. Ich finde es super, dass ich meine Leidenschaft für Technik und Basteleien dafür nutzen konnte, anderen Menschen nützliche Informationen zur Verfügung zu stellen.

Aber ich gebe zu, dass ich manche Themen in der Redaktion nicht unterbringen konnte, die mich privat interessieren und ich – unter anderem – auch deshalb ganz froh war und bin, nicht mehr den Zwängen des Jahres-Themenplans zu unterliegen.

Das klingt nicht gerade nach Ruhestand …

Ja, das ist wahr. Durch meine Berufstätigkeit habe ich einige Interessen nicht so intensiv ausleben können, wie ich mir das gewünscht hätte – da gibt es Nachholbedarf. Ich hatte immer zu wenig Zeit, mich mit eigenen Bastel-Projekten zu beschäftigen oder auch alte Freundschaften und Bekanntschaften zu pflegen – das soll anders werden. Tatsächlich ist es sogar so, dass ich diesen Zeitmangel gerade in der letzten Zeit zunehmend als lästig empfand. Allerdings waren auch die redaktionellen Zwänge allmählich immer größer geworden. Ich hatte immer weniger Zeit, neue Themen auszugraben und auszuprobieren.

Und Du planst noch eine Ortsveränderung.

Nach NRW und Köln sind wir – meine Frau und ich – ja nur gegangen, weil es dort Arbeit für uns gab. Wir haben fast dreißig Jahre lang das Beste draus gemacht, uns auch gesellschaftlich und ehrenamtlich engagiert, eine Wohnung gekauft und unsere Kinder großgezogen – doch richtig warm geworden sind wir mit dem Rheinland dennoch nicht. Wir haben uns deshalb entschieden, zurück nach Thüringen umzusiedeln. Dort kommt meine Frau her, dort habe auch ich einige Jahre gelebt und in Südthüringen haben wir immer noch viele Freund*innen. Jetzt wartet ein Fachwerkhaus auf uns, das wir gerade umfassend sanieren und renovieren, mit sehr viel Eigenleistung selbstverständlich. Thüringen ist wunderschön!

Andere Rentner gehen auf Weltreise – interessiert Dich das nicht?

Ich habe viele Menschen kennengelernt, die angeblich die Welt gesehen haben, aber nicht mal Kontakt zu Ihren Nachbarn haben. Aus ihrer „Welterfahrung“ leiten viele dann mit bemerkenswerter Arroganz ein besserwisserisches Predigertum ab – das finde ich befremdlich. Es gibt echt Leute, die in Vietnam wandern gehen – ohne mal den Rennsteig gesehen zu haben. Für mich ist es wichtig, die eigene Umgebung zu erkunden – ein unterschätzter Kosmos voller spannender Entdeckungen. Ich habe viele Jahre lang Urlaube in Brandenburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen gemacht und jedes Mal wieder Neues entdeckt und interessante Menschen kennengelernt. Wir sollten neugierig bleiben! Es ist ja viel wichtiger, dabei auch zu sich selbst zu finden und im Alltag glücklich zu werden und zu sein.

Spielst Du da auch auf Dein Outing als queere Person an?

Das ist natürlich ein besonders eindrucksvolles Beispiel: 57 Jahre lang blieb mir selbst verborgen, dass ich als männlich definierter und vielfach auch von außen festgelegter Mensch eine starke weibliche Persönlichkeit in mir habe – oder besser gesagt, ich konnte das nicht benennen. Die Reise zu mir selbst war aufregender als jede Expedition in Afrika sein könnte. Ohne jede Ortsveränderung wurde ich quasi über Nacht zu einem anderen Menschen – das war eine überwältigende Erfahrung.

Wie kam das, das Du Dich auf einmal anders gesehen hast?

Einen größeren Anlass dafür gab es nicht, aber auf einmal ist mir klar geworden, dass ich mich mit Nagellack und Rock besser fühle als je zuvor. Offenbar habe ich lange gebraucht, mich von den starren Vorstellungen von Elternhaus und Gesellschaft frei zu machen und überhaupt mal in Frage zu stellen, dass die digitale Zuordnung der Geschlechter für mich vielleicht gar nicht passen könnte. Was man nicht in Frage stellt, wird man nicht erforschen wollen und können. Dabei waren bei mir eigentlich schon immer „unmännliche“ Wesenszüge angelegt – das kann ich im Nachhinein bis in Pubertät und Kindheit zurückverfolgen. Aber in unserer Generation hatten wir ja alle keine Ahnung, dass es Menschen jenseits der digitalen Geschlechterzuordnung geben könnte. Schon Transpersonen waren ja sozusagen Monster. Zugegebermaßen hat es sehr sehr lange gedauert, bis der Groschen gefallen ist. Aber es ist wunderbar!

Wie verortest Du Dich heute?

Erst habe ich meine männliche Rolle in Richtung Weiblichkeit erweitert – und dann konnte ich meine „innere Frau“ entwickeln. Ich bleibe dabei in meinem männlichen Körper, auch weil ich Angst davor habe, dieses gewohnte Haus bei Umbauarbeiten möglicherweise zu beschädigen. Nach modernem Sprachgebrauch benenne ich mich als Nichtbinär. Ich fühle mich auch und besonders in weiblicher Kleidung wohl, brauche dabei aber keine hormonelle oder operative Modifizierung. Und ich bin stolz darauf, diesen Weg inzwischen ganz entspannt und offen gehen zu können – auch dank meiner Familie, die mich so akzeptiert, wie ich bin. Freilich bleibt das ein Prozess, und ich habe gute Erfahrungen gemacht, immer wieder Neues ausprobieren. Wir sollten in Bewegung bleiben – auch mental. Ich hatte zuerst gedacht, mein weiblicher Anteil würde vielleicht so bei einem Drittel liegen – aktuell würde ich sagen, Carla ist gleichberechtigt.

Hast Du Anfeindungen nach dem Outing erlebt?

Ich hatte welche befürchtet ­ gerade auch, weil in den Medien immer wieder von Transfeindlichkeit und Hass berichtet wird. Und es gibt so viele dumme Vorurteile! Aber bislang ist es gutgegangen: Ich werde zwar neugierig beäugt, aber bin noch nie angegriffen worden. Ich werde auch sehr selten auf meine „Besonderheit“ angesprochen – das würde ich mir eigentlich sogar auch gelegentlich wünschen. Denn die eigene Klarheit wächst, wenn ich mein Nichtbinär-sein anderen erkläre. Viele Menschen sind unsicher oder überfordert mit dem Thema … vielleicht ein Grund, warum ich öfter auch ziemlich unverfroren angestarrt werde, vor allem von älteren Menschen. Spontane positive Rückmeldungen erfahre ich erfreulicherweise ab und an gerade von jungen Menschen. Und überraschenderweise mit einigen zuerst eher konservativ wirkenden älteren Menschen habe ich bislang die besten Gespräche zu diesem Thema geführt.

Hatte Deine neue Rolle Folgen für Deine Berufstätigkeit?

Leider eher nein. Zwar wurde ich in meiner Redaktion nicht angefeindet ­ aber auch kaum unterstützt. Mein Chefredakteur erwartete von mir, dass ich in unserer Zeitschrift weiterhin als Mann auftrat, und das erlebte ich zunehmend als Kasperle-Theater. Sogar gegenüber Anzeigenkunden sollte ich mich nicht zu erkennen geben ­ aber darüber habe ich mich in Einzelfällen dann hinweggesetzt. Der Grund für diese Verweigerung gegenüber meiner neuen Identität war, dass unsere männliche und als konservativ eingeschätzte Leserschaft nicht verschreckt werden sollte. Da war die Zeit schon länger stehengeblieben.

Mit Deinem Outfit stichst Du ja doch sehr aus der Masse heraus. Fühlst Du Dich als nichtbinärer Mensch nicht auch allein?

Ja, tatsächlich kenne ich keinen einzigen Menschen in meinem „analogen“ Alltag, der so ist wie ich – oder besser gesagt, der das offen zu erkennen gibt. Aber immerhin habe ich inzwischen einige digitale queere Bekanntschaften und kann mich über meine Nicht-binarität austauschen. An meine Rolle außerhalb des Mainstream habe ich mich gewöhnt. Es bedeutet für mich so viel neue Lebensfreunde und Zufriedenheit, dass ich ganz sicher nie mehr in meine männliche Rolle zurückkehren werde. Das dieser Effekt so groß sein würde, hatte ich übrigens bei meinem Outing vor gut fünf Jahren nicht für möglich gehalten. Dabei spielen Äußerlichkeiten eine große Rolle: Kleidung war für mich früher eher belanglos und ist heute ein sehr wichtiger und inspirierender Aspekt in meinem Alltag.

Was wünschst Du Dir als queere Person von Deinen Mitmenschen?

Mehr Normalität und weniger Geschrei um Regenbögen und das Gendern. Menschen wie ich wollen einfach ein selbstbestimmtes Leben führen. Also akzeptiert uns einfach, berücksichtigt uns in der Sprache und vermeidet Diskriminierungen. Es ist schon ein Unding, dass sogar große Vergleichsportale und Versicherungen es verweigern, eine Ansprache außerhalb von „Frau“ und „Herr“ anzubieten. Möglichweise müssen wir trotz eindeutiger Gesetzeslage noch eine ganze Reihe Auseinandersetzungen überstehen, bevor wir akzeptiert werden. Zum Glück gibt es auch eine Reihe sehr sympathischer Vorbilder. Die alten Patriarchen werden ja dann irgendwann mal aussterben. Vor allem die aktuellen sogenanntnen „Gender-Verbote“ sind grotesker Unsinn und sollen alte männliche Vorherrschaft zementieren. Das wird keinen Bestand haben. Schade, dass die Medien diesen unsäglichen Zirkus noch immer mitmachen!

Was erwartest Du für den Journalismus in der Zukunft?

Leider haben die Verlage das Internet-Zeitalter von Anfang an komplett verkackt, das kann man kaum freundlicher formulieren. Statt selbstbewusst ihre Stärken auszuspielen, haben sie alle Inhalte verschenkt und diesen Fehler erst Jahrzehnte später zu korrigieren versucht – viel zu spät und dann längst ohne Chance. Dass vor allem viele Tageszeitungen diese völlige Fehleinschätzung verbunden mit der überheblichen Arroganz der patriarchalischen Verleger nicht überleben, haben sie meiner Meinung nach nicht anders verdient. Statt Könige des Lokalen zu sein, sind sie nun Bettler der internationalen Konzerne geworden – das ist beschämend und lächerlich. Natürlich werden stets andere als Schuldige benannt, unter anderem der öffentliche Rundfunk – das ist außerdem noch erbärmlich. Selbst einstige Flagschiffe sind unfassbar langweilig geworden – etwa die Frankfurter Rundschau, die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel. Schade. Wildes Geschrei und Schabernack haben soliden Journalismus ersetzt, die Menschen können Journalismus und Propaganda schon nicht mehr auseinanderhalten. Die „vierte Gewalt“ hat sich selbst enthauptet, das hat auch Folgen für die politische Entwicklung in unserem Land. Unsere jetzige Regierung ist die schlechteste in der BRD ever, sogar die Demokratie selbst ist in Gefahr.

Zum Glück gibt es junge Leute, die neue Chancen des Internet ergriffen haben und eine unabhängige, frische und freche Alternative bilden. Das lässt hoffen. Die arroganten Verleger*innen können nicht mehr bestimmen, wer berichten darf – gut so.

Und was für Gefahren siehst Du?

Der Einfluss von Werbung, Lobbyisten und rechten Idioten ist immer größer geworden. Das habe ich sogar in der eigenen Redaktion beobachtet: Immer mehr eigentlich sinnlose oder sogar kontraproduktive Themen werden ins Heft gehoben, weil sich Werbekunden das wünschen. Kapitalistischen Journalismus benennt man heute beschönigend als „Influencer“, „Content Commerce“ oder „Infomercial“ – das ist eine Gleichschaltung durch die Industrie. Kritischer Journalismus hat es schwerer als je zuvor. Aber auch da gibt es erfreuliche Entwicklungen jenseits der alten Print-Strukturen. Allerdings wird es für junge Leute zunehmend schwierig, der Gehirnwäsche der großen US-Medienimperien zu entgehen.

Was rätst Du jungen Menschen, die Journalist*in werden wollen?

Vor der Frage stehe ich jedes Jahr, wenn ich im Gynasium im Rahmen der Berufsorientierung den Schüler*innen Rede und Antwort zu meinem Beruf stehe.

Grob gesprochen rate ich erst mal ab, Journalist*in zu werden: Zu viele Zwänge, zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten, zu wenig Geld – und es gibt noch mehr Gründe. Aber denen, die dennoch diesen Weg gehen wollen, rate ich zu Geduld, möglichst viel Praxis über Praktika und redaktionelle Mitarbeit im Vorfeld und einer breiten Berufsorientierung, bei der Jounalismus ein Baustein ist. Dann gibt es auch später noch die Möglichkeit, anders abzubiegen – und Journalist*innen profitieren immer von einer breiten Kenntnis-Grundlage. Grundsätzlich sollten junge Menschen darin bestärkt werden, Ihren Vorlieben und Idealen zu folgen … und manchmal muss man ein bisschen helfen dabei, diese überhaupt erst mal zu finden. Denn leider gilt heute noch stärker aus früher: Die Schule ist extrem praxisfern und wenig orientiert an der späteren Lebenswirklichkeit – allen Beteuerungen zum Trotz. Und leider gewinnt man den Eindruck, dass fast alle Eltern zwei linke Hände haben und diese praktische Inkompetenz auch an ihren Nachwuchs weitergeben. Viele Mitbürger haben sich zudem schon jahrelang nicht mehr als 200 Meter von ihrem Auto entfernt und kennen die Realität in der natürlichen Umgebung gar nicht mehr. Die Menschen werden immer hilfloser und sind kapitalistischen Strukturen dadurch extrem stark ausgesetzt. Hinzu kommt eine allgemeine „Entklugung“, die schon Dieter Hildebrandt beklagt hatte. Das Endstadium dieser Entwicklung ist dann die Wahl faschistischer Dösköppe.

Dann hast Du wenig Hoffnung für die Zukunft?

Es wird höchste Zeit, die Macht der alten weißen Männer zu brechen, die das Heft heute wieder praktisch konkurrenzlos in der Hand halten. Tatsächlich glaube ich, dass wir eine große Problemgruppe in unserer Gesellschaft haben: Dominante Männer. Oder wie mein Urologe es auf den Punkt bringt: „Das Problem sind die Hoden“.

Männer verteidigen eine Welt der Ungleichheit und des Krieges. Sie stehen für fossile veraltete Technik, für egoistische Naturausbeutung und radikalen Machtmisbrauch bei der Diskussion um aktuelle Menscheitsprobleme. Männer treiben rassistische Politik voran, pflegen korrupte Bündnisse und behindern die Demokratisierung von Entscheidungsprozessen. Männer sind überhebliche Besserwisser, Ignoranten und Demagogen. Wenn die Menschheit überleben will, muss sich das unbedingt ändern. Wir müssen lernen, den toxischen Männern zu widersprechen und ihnen das Machtmonopol entziehen -vielleicht brauchen wir dafür eine Art neuer APO. Denn in der Politik erleben wir weltweit gerade eine Renaissance der Turbo-Männlichkeit mit absehbaren furchtbaren Folgen für die Weltgemeinschaft.

Was können wir tun?

Zeigen, das es auch anders geht. Vielfalt leben! Männern in Ihrer Arroganz wiedersprechen, auch und gerade im Internet. Gesellschaftlich und politisch engagieren. Und die Alternativen wählen und für sie werben. Die Welt ist bunt! Genießt es.

September 2025

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